Gila - The Way of Heroes
Sira ließ sich erschöpft auf dem Waldboden nieder. Es war schon Abend geworden
und am orangen Himmel hing eine einzelne, kleine Wolke. Eine leichte Brise trug
warme Luft heran und die Baumkronen der Bäume wippten sanft im Takt. „Was mach
ich hier nur?“, fragte sie sich und erschrak über ihre eigene Stimme. Sie hörte
sich so – fremd an. Als würde sie das alles durch einen unsichtbaren Vorhang
hindurch beobachten. Seltsam distanziert.
Sie blieb eine Weile liegen und versuchte an nichts zu denken. Aber es gelang
ihr nicht sonderlich gut. Vor allem ein Gedanke ging ihr immer und immer wieder
durch den Kopf: Der Kuss. Sie hatte Alk geküsst. Sira konnte es nicht fassen.
Sie hatte Alk geküsst! Sira hatte noch nie einen Freund gehabt. Jedenfalls
keinen Freund im Sinne von Liebhaber. Sie fragte sich was wohl ihre wenigen
Freundinnen, zwei an der Zahl , Serla und Marlene, gerade machten. Bestimmt
halfen sie wie immer im Haushalt ihrer Eltern mit und wenn sie Zeit hatten
trafen sie sich mit ihren Freunden um zu knutschen. Sira konnte sich aber
durchaus schon andere Sachen vorstellen die sie machen könnten. Sira hatte sich
schon mehrmals dabei ertappt wie eifersüchtig sie immer gewesen war das die
beiden Freunde hatten ,und zwar dauernd, und sie nie. Es gab zwar Jungs die sich
für sie interessiert hatten ,manche sagten sogar sie würden Sira lieben. Aber
mehr als einen Korb hatte es von ihrer Seite aus nie gegeben. Die Jungs waren
zwar alle nett und auch hübsch aber... Ja aber was Sira? Was stimmte denn nicht
mit ihnen? Nein. Sie waren in Ordnung. Du
bist es mit der etwas nicht stimmt. Aber was nur? Warum konnte sie nicht lieben?
Warum konnte sie nicht wie alle anderen Mädchen ihres Alters auch einfach
nur lieben? Warum musste sie sich
immer Gedanken über alles machen was letzten Endes doch nichts brachte?
Aber was war das mit Alk?
Sie hatte ihn geküsst ,das ließ beim besten Willen nicht abstreiten. Aber es war
mehr eine plötzliche Laune als wahre Liebe. Sie hatte einfach Lust dazu gehabt
ohne einen besonderen Grund oder einer Absicht. Sie hatte es einfach – getan.
Aber steckte doch mehr dahinter? Für einen kurzen Moment fühlte Sira sich wohl.
„Liebe...“, flüsterte sie langsam. Sie blieb eine Weile so da liegen mit dem
Kopf gen Himmel und einem leichten Lächeln auf den roten Lippen. Dann aber
kramte sie in ihrem Rucksack, denn sie hatte Hunger. Im Rucksack waren : Eine
Decke, ein Kamm, eine Wasserflasche, ein halber Laib Graubrot, ein Stück Käse,
ein kleiner Beutel für Suppen, ein lederner Geldbeutel mit 3 Dukaten 32
Silbertalern und 20 Hellern, ein paar elastischer Ringe für ihren kurzen Zopf,
ein Messer ,ein kleiner Bronzetopf, ein Holzlöffel und die dazugehörige Schüssel
,ein paar Ob’s, 2 Papiertüten, zwei Paar Socken, zwei Slips, ein Ersatz BH, ihr
dünnes Nachthemd und ganz unten die elegant verzierte Dose mit den Sahnebonbons.
Sira musste unwillkürlich an jenen Tag zurückdenken an dem sie die Dose von
Cordal bekommen hatte . Wie freundlich er sie behandelt hatte. Fast so wie ihr
Großvater. Sie mochte ihn, wirklich. Aber mehr... mehr war nicht. Er war ein
guter Freund. Auch wenn sie drei (Alk, Itznak und Sira) ja eigentlich seine
ersten Freunde waren. „Jetzt sind’s nur noch zwei...“ Er sorgte sich um jeden
und um Sira ganz besonders wie es den Anschein hatte. Hatte er sich etwa in sie
verknallt? Sira ergriff ein Frösteln. Wenn es so war... Sie musste ihm möglichst
schonend beibringen das sie seine Gefühle nicht erwiderte. „Ach was denk ich
da!“, fluchte Sira über sich selbst. „Ich sehe sie nie wieder.“ Um nicht wieder
in Traurigkeit zu versinken nahm Sira das Messer und schnitt sich eine Scheibe
Brot und belegte sie mit dem Käse. Zwischendurch nahm sie einen Schluck aus der
noch vollen Wasserflasche. Nachdem sie 3 Portionen gegessen hatte öffnete sie
die Dose und steckte sich einen Sahnebonbon in den Mund. Es schmeckte noch viel
besser als letztes mal, stellte Sira begeistert fest. Aber Sira war noch immer
hungrig. Sie hatte plötzlich Angst sie könnte jetzt an Fresssucht leiden und
fett werden aber ihr Magen grummelte derart das es fast weh tat. War das Brot
oder Käse etwa verschimmelt? Sie kontrollierte es ,aber es waren keine Anzeichen
von Schimmel ,weder beim Brot noch beim Käse, festzustellen. Und die Bonbons
konnten es nicht sein. Sahnebonbons hielten nahezu ewig. Sie musste also
wirklich Hunger haben.
„Dann mach ich mal ne
Suppe.“ Auf der kleinen Lichtung auf der sie sich aufhielt lagen überall Stöcke,
große wie kleine. Sie sammelte sie und warf sie auf einen Haufen. Dann
machte sie sich auf die Suche nach Steinen damit nicht gleich der ganze
Wald in Flammen aufging. Als sie keine fand säuberte sie das Umfeld der Stöcke
sorgfältig von allem brennbaren Materialien und begoss diese Fläche mit ein
wenig Wasser. Dann nahm sie zwei der dicksten Stöcke und rieb sie über dem
Stockhaufen aneinander um Feuer zu erzeugen. Sie hatte Übung darin immerhin
hatte sie dasselbe jeden Tag im Haus ihres Großvaters machen müssen. Schon nach
kurzer Zeit flackerte es und Sira ergötzte sich am Anblick. Das Feuer
hypnotisierte sie fast und nur mit Mühe gelang es ihr den Blick abzuwenden. Die
Wasserflasche war noch zu ¾ voll und sie goss die Hälfte davon in den
Bronzetopf. Sie stellte den Topf erst mal neben das Feuer und suchte nach
weiteren Stöcken um damit das Feuer im Laufe des Abends zu füttern. Als sie
genug hatte setzte sie sich wieder neben das warme, prasselnde Feuer nahm den
Beutel mit Suppenkräutern und tat fünf Fingerspitzen in den Topf. Ein besonders
dicker und langer Stock ,den sie in den Boden rammte, hielt den kleinen Topf an
seinem Henkel über dem Feuer. Sira betrachtete ihr Werk und war ehrlich ein
wenig stolz. Aber sie wusste auch das ihre Vorräte nicht ewig reichen würden,
und das sie ,falls sie sich in Zukunft nicht nur noch von Beeren und Pilzen
ernähren wollte, in ein Dorf oder eine Stadt musste um sich neue Lebensmittel zu
besorgen. Für einen Moment spielte sie sogar mit dem Gedanken in ihr Dorf
zurückzukehren. Die Leute dort hätten sie bestimmt
mit Freuden aufgenommen. Sie konnte in ihr altes Leben zurückkehren und
in Frieden sterben. Aber inzwischen war Siras Interesse an der großen weiten
Welt geweckt worden. Sicher sie war auch gefährlich, wie die Räuber, dunklen
Schwerter und Dämonen bewiesen hatten. Aber – da musste es auch noch etwas
anderes geben. Und mit einem mal wurde ihr etwas klar. Es war so einfach! Nach
10 Minuten war die einfache Suppe fertig. Sie nahm den Topf mit Hilfe des
Stockes vom Feuer und schöpfte mit ihrem Löffel die Suppe in ihre Schüssel. Die
Suppe war eine cremige Kräutersuppe und Sira leerte den ganzen Topf innerhalb
von Minuten. Dann nahm sie ihre Decke und benutzte den Rucksack als Kopfkissen.
„Morgen geht’s los.“ Und - auch wenn es nur die Sterne sahen - Sira lächelte
zufrieden.
„Liebe ist was für Ältere Generationen. Jüngere verlieren ihre Partner oft.“
Hier im Tempel und in Alks Kopf klangen die Worte so leer und unsinnig ,das er
sich selber einen Narren schollt. Wie hatte er nur so etwas sagen können? Aber
ein Fünkchen Wahrheit steckte trotzdem in diesen Worten, wenigstens aus seiner
Sicht. Als er damals nach der Evakuierung von Burg Speergitt Anti-B aus den
Augen verlor ,verlor er auch gleichzeitig den Sinn seines Lebens. Wäre Erwin
nicht gewesen um ihn aus seiner Krise herauszuhelfen... Alk hätte sich selbst
das Leben genommen. Anti-B war sein Ein und alles geworden. Sie wusste als
einzige genau was Alk dachte und wie er fühlte. „Hatte gewusst.“, murmelte Alk
gedankenverloren und starrte auf den Boden des Tempels. Unweit von ihm küsste
sich ein Paar und überall tranken die Menschen Wein und feierten die Göttin der
Liebe und der Freude. Er war der einzige inmitten fröhlicher und tanzender
Menschen der traurig gestimmt war. Er schloss die Augen und hoffte das Jenar ihm
Kraft geben würde ,die Tatsache das Sira nicht mehr bei ihnen (bei ihm!) war ,zu
vergessen und sich auf aktuelleres zu konzentrieren. Aber die Göttin der Liebe
erfüllte seine Bitte nicht. Im Gegenteil. Sie ließ die Sehnsucht in Alk stärker
brennen als jemals zuvor. Er konzentrierte all seine Gedanken auf diese seine
Bitte und hielt angespannt den Atem an ,die Augen fest zusammengekniffen. „Bitte
Jenar! Bitte Jenar! Bitte...“ ,flüsterte er kaum hörbar. Aber nichts geschah.
Die Leere und die Sehnsucht blieben. Sie drohten Alk komplett zu vereinnahmen.
Es war ein Kampf zwischen Geist und Gefühlen. Und seit langer Zeit sah es
tatsächlich so aus als würden die Gefühle überhand nehmen. Je mehr er kämpfte
desto schwächer wurde sein Geist. Erst langsam dann immer schneller verlor der
Geist und wich den Gefühlen die Alk solange hatte verbannen können. Genau seit
dem Ende der Belagerung... Genau seit diesem Tag an hielt er seine Gefühle ,
größtenteils, zurück. Und jetzt drohten sie umso mächtiger hervorzubrechen. All
das Bitten und Beten half nichts mehr. Wie konnte er auch nur annehmen das die
Göttin der Liebe ihm die Liebe nahm? Er hätte besser zu den blutigen Schwertern
gehen sollen. Dort hätte man ihm mit Sicherheit die Liebe ausgetrieben und sie
durch Hass, Gier und Macht ersetzt. Aber um was für einen Preis? Und vor allem:
Wollte er es überhaupt? Was war für das ein Trottel in seinem Kopf der ihm sagte
das Sira nicht die richtige für ihn wäre? Wie konnte er sich nur anmaßen seine
Gefühle für Sira unter einen Teppich zu kehren und dann auch noch zu hoffen sie
würden niemals ans Tageslicht gelangen? Und auf einmal wurde Alk etwas klar. So
klar und deutlich das alles andere an Bedeutung verlor. Es war so einfach! So
verdammt einfach! Alk erhob sich und ging aus dem Tempel. Draußen war es
inzwischen früher Abend und die Sonne tauchte alles in ein heimeliges Orange.
Eine warme Brise wehte ihm entgegen und ließ seinen schwarzen Umhang an ihm
flatterten. Doch Alk bemerkte dies nur nebenbei. Er ging zur Herberge in das
Zimmer das er und die anderen gemietet hatten. Sie hätten es eigentlich noch
schaffen können rechtzeitig nach Chaosstadt zu gelangen aber dann auch nur in
der Nacht. Und dann waren die Stadttore sowieso geschlossen. Deshalb blieben sie
im kleinen Dorf und ruhten sich aus. Als er die Tür öffnete sah er wie Itznak
und Cordal schon schliefen. Sie waren sehr müde gewesen und Alk verübelte es
ihnen nicht. Auch er war nicht mehr ganz hellwach , ehrlich gesagt ,totmüde. Er
zog sich aus und legte sich ebenfalls in eines der 3 weichen Betten. Er starrte
die hölzerne Decke lange an. Itznak schnarchte. Aber Alk störte dies nicht.
Bevor er einschlief dachte er noch: „Jenar wird schon dafür sorgen das wir uns
wiedertreffen – wenn es denn ihr Wille ist...irgendwann...“